ars humana

Willkommen am Bodensee




Leseprobe Kap. 1


Malina und der kleine Zauberer
finden endgültig großen Gefallen an Lirulin und Feanor
Oder Lirulin an Mateo? Wir wissen es noch nicht


Dritter Teil


Inhalt


1. Malina und Lirulin müssen die Burg noch einmal untersuchen. Der kleine Zauberer und Mateo helfen ihnen dabei. Mateo allerdings, wie es scheint, nicht ganz uneigennützig 02
2. Unsere Lieben wandern durch verschiedene Welten. Am Ende tanzt Malina mit Mateo, obwohl sie keinen Mauseschwanz darauf verwettet hätte, dass dies mal passiert. Dann aber merkt sie, schlecht fühlt es sich auch nicht gerade an 19
3. Eine etwas existentialistische Betrachtung, ob wir vorhanden oder nicht vorhanden sind. Malina macht es fast wütend, der kleine Zauberer macht, wie so oft, nur seine Faxen 30
4. Malina fragt sich, ob Legolas eine Freundin hat. Und ihr fragt euch, wer Legolas ist? Dann habt ihr wohl nicht richtig aufgepasst 37
5. Man tummelt sich im Fluss und der kleine Zauberer verdoppelt sich. Jedoch nur vorübergehend 50
6. Malina ist in großer Gefahr 57
7. Malina fühlt sich geborgen auf dem breiten, reglosen Fluss, der sie zwar nicht vorwärts, aber doch zu einem bestimmten Ziel führen wird 61
8. Alles ist wieder wie am Anfang. Ist alles wieder wie am Anfang? 65
…..............


1. Malina und Lirulin müssen die Burg noch einmal untersuchen. Der kleine Zauberer und Mateo helfen ihnen dabei. Mateo allerdings, wie es scheint, nicht ganz uneigennützig

Darf ich dir etwas erzählen, fragte Lirulin Malina am nächsten Morgen, während sie noch unentschlossen im Bett lagen und das Spiel der wandernden Sonnenstrahlen an der Wand verfolgten. Wenn ich an die Ereignisse der letzten Wochen zurück denke, dann fällt mir auf, wie sehr wir stets im Moment gelebt haben, wie Kinder, die keine Verantwortung empfinden für das, was sie tun. Die Zukunft war für uns fern, wobei es gleichgültig ist, ob wir damit wirklich eine Zukunft oder eine Form der Vergangenheit meinten. Du weißt, dass ich nicht mit den Worten spielen möchte, dazu sind sie mir zu wichtig und bewusst. Wir lebten im Grunde ohne den wirklichen Ernst der Zeit, wir spielten mit ihr und sie spielte mit uns. Und der kleine Zauberer, aber auch Feanor, hatten ihre Freude daran. Aber jetzt geschieht die Zeit, genau in diesem Moment. Und sie geschieht nicht nur zu unserer Freude. Oder, ich könnte auch sagen, sie braucht uns mehr denn je, da alles, was stattfindet, eine Folge des menschlichen Bewusstseins ist. Und natürlich der menschlichen Taten. Haben wir uns das jemals klar gemacht? Oder ist es uns überhaupt wichtig? Ist es dir wichtig, Malina?
Du machst mich traurig, du Dichterin der spielerischen, farbig schönen Worte. Was ist jetzt noch wichtig? Nachdem wir das Schönste, was Menschen erleben dürfen, erfahren haben?
Ich fühle, dass etwas Großes geschieht. Aber ich kann überhaupt nicht sagen, was es ist. Doch ich weiß bestimmt, wenn ich mich vor ihm zu verstecken suche – Hast du das mal erlebt, du willst dich vor etwas ganz Großem, etwas Gutem oder Schlimmem, das ist im Grunde egal, also du willst dich davor verstecken? Aber es ist nicht möglich. Es findet dich immer.
Und etwas Kleines, so wie der kleine Zauberer?
Der auch. Er hat dich ja gefunden. Du hattest keine Chance, stellte Lirulin fest.
Und wenn ich keine wollte? Wenn ich gewünscht hätte, er soll mich finden?
Darauf kommt es doch nicht an. Hast du es dir denn gewünscht?
So, wie ich mir dich gewünscht habe.
Aber du wusstest doch nichts von mir, bis ich in deiner Klasse aufgetaucht bin.
Vom kleinen Zauberer habe ich auch nichts gewusst und plötzlich war er da. Wir drehen uns gerade im Kreis, merkst du das?
Malina - was ist eigentlich Freundschaft für dich?
Dass man nicht mehr man selbst ist, man kann niemals mehr die sein, die man vorher war. Gibt es denn kein anderes Wort für man, es klingt so komisch.
Sag einfach, dass du nicht mehr du selbst bist. Also du müsstest natürlich sagen, dass ich nicht mehr ich selbst bin, ich kann niemals mehr die sein, die ich vorher war.
Geht es dir also genauso? Malina war froh über diese Erklärung, die sie allerdings nicht so recht verstehen konnte. Aber zurück zu der Frage nach der Zeit. Mir ist wichtig zu wissen, dass wir selbst der Grund sind für alles, was geschieht.
Für alles? Oder nur für das, was uns betrifft? Malina, wenn der Sturm jetzt das Dach vom Hause weht, bist du dann verantwortlich dafür?
Ich glaube schon, du spitzfindige Philosophin. Und wenn du nicht sofort im Bad verschwindest, dann bist du auch noch  verantwortlich für alles, was jetzt passiert.
Das wäre?
Wirst du gleich sehen. Doch bevor sich nun ein erbitterter Ringkampf zwischen den beiden Freundinnen entwickeln konnte, sprang Momo, die am Fußende lange geduldig dem Gespräch gefolgt war, mit einem Satz auf den Schreibtisch, riss mit dem nächsten Sprung zur Tür den kleinen Zauberer mit auf den Boden und ließ ihn, die Jacke in zwei Teile zerrissen, dort liegen. Da siehst du, was passiert, wenn wir nicht vernünftig sind. Der Arme. Lirulin, meinst du, alles fängt jetzt wieder von vorne an? Dass ich mich um den Schlamper kümmern muss? Aber das ist er nicht, ich weiß doch, wer du bist.
Beide wurden schlagartig wieder ernst. Es ist so schön, wie es ist, überlegte Lirulin nachdenklich. Aber es liegt nun an uns, wie es weiter geht. Ich glaube, der kleine Zauberer und Feanor haben genug für uns getan. Jetzt sind wir dran.
Vom Boden her grunzte es zufrieden, begreift ihr endlich auch mal was? Dann lasst uns doch gleich mal sehen, was ihr bisher alles verstanden habt. Der kleine Zauberer stolzierte lehrerhaft zwischen Schreibtisch und Bett hin und her.
Oh, keine Schule, aber schon eine Prüfung? Malina war nicht beeindruckt. Wollen wir diese Spielchen nicht mal lassen? Wir wissen doch alle drei, worum es geht, du selbst hast uns doch alles genau erklärt. Und überhaupt, wo ist Feanor? Das frage ich jetzt nicht zum ersten Mal, stimmt's Lirulin?
Du erinnerst mich an etwas. Wir haben ja jetzt so etwas wie eine Aufgabe, also, zum Beispiel, die Welt verbessern. Richtig? Malina und der kleine Zauberer hörten interessiert zu, dazu war er ohne Ankündigung auf ihre Knie gehüpft.
Feanor ist beschäftigt, sprach er. Das Licht ist sein Element, er ist verantwortlich für das Zusammenwirken von Licht und Zeit. Könnt ihr euch vorstellen, dass nur noch Finsternis herrscht, wenn etwas nicht stimmt mit der Zeit? Das haben auch die Mondenzauberer feststellen müssen: Es ist finster in ihrem Reich, solange sie die Zeit nicht im Griff haben und ihnen große Teile davon verloren gehen. Nicht nur die Zeit erleben sie wie ein Stottern, Malina, du erinnerst dich. So ist es auch mit dem Licht.
Und was genau bedeutet das jetzt für uns? Malina dachte an die Schule, ihren Lehrer und die anderen Kinder. Er hätte genau das gefragt, weil er den Gedanken des kleinen Zauberers sicher nicht hätte aufnehmen können. Aber für sie war es ganz einfach. Wir müssen dafür sorgen, dass der Zeitenstrom nicht unterbrochen wird, wir müssen zusammen arbeiten mit allen Wesen, welche die Zeit aufrecht halten in ihrer Entwicklung, obwohl sie selbst diese nicht brauchen, weil sie eben zeitlos oder überzeitlich sind.
Und warum können dann wir nicht auch auf die Zeit verzichten? Lirulin konnte im Augenblick nicht ganz folgen.
Die Zeit, antwortete der kleine Zauberer geduldig, ist die Form, der Ausdruck des Unwirklichen, oder, wenn du willst, der Endlichkeit des Lebens. Ihr braucht die Zeit, um euch von der Geburt an bis zum Alter zu entwickeln. Für uns ist das eine Illusion, denn ihr seid alt und kindlich jung zugleich und manchmal wundern wir uns über eure Vorstellungen, wie Jugend und Alter sich scheinbar unterscheiden. Doch viel wichtiger ist, das Gleichgewicht von Licht und Zeit aufrecht zu erhalten, weil das Licht nur in der Zeit sichtbar ist. Auch das Licht ist nichts Sinnliches, aber euch erscheint es so mit gutem Grund, weil es euch damit eine Orientierung gibt. Schaut doch mal nach innen, was seht ihr? Natürlich, nur die Finsternis eurer Vorstellung. Aber darin entsteht Licht, geistig gesehen. Und das ist auch für uns sichtbar.
Und Feanor trägt die Verantwortung für das alles? Lirulin war mehr und mehr besorgt.
Nein, er vermittelt die Prozesse mit seinem Bewusstsein, aber er ist nicht der Einzige. Stellt ihn euch vor wie einen Wächter, davon gibt es eine ganze Reihe. Sie arbeiten zusammen mit denen, die noch höher über ihnen sind und die unter anderem das Gefüge von Sein und Nichtsein des Lichtes und der Zeit regulieren. Ich weiß nicht, ob das eure Frage beantwortet, aber nach all dem, was bisher war, kann es euch nicht schaden, darüber nachzudenken. Dichterin, Philosophin, die ihr euch traut.
Malina gab dem kleinen Zauberer einen leichten Schlag, dass er auf den Boden flog. Danke, es reicht erstmal. Doch rasch hob sie ihn wieder auf. Ich wollte dir nicht weh tun, das ist nicht meine Art. Aber mein Kopf platzt gleich, ich muss ihm dringend Kühlung verschaffen. Sie sprang auf ihre Füße, nahm Lirulin an die Hand. Komm mit, soll er kurz mal mit Momo theoretisieren, bis wir uns frisch gemacht haben. Mir läuft schon der Schweiß ins Hemd. Dass sie überhaupt keines an hatte, merkte sie erst im Bad. Macht nichts, dann läuft er mir eben auf den Bauch. Schwindelig ist mir jetzt allemal.
Die Zahnbürste im Mund, nuschelte Lirulin: Mir scheint inzwischen, dein kleiner Zauberer, also ich meine jetzt die Puppe, ist wie ein Spielzeug unserer Vorstellung. Er kann einfach nicht wirklich sein. Wir wissen doch, dass er nicht existiert, aber wir tun genau das, was er sagt. Das ist doch nicht normal.
Was ist schon normal? Du bist auch nicht normal, wenn ich dich so anschaue. Du bist etwas ganz Besonderes. Und der kleine Zauberer ist auch etwas ganz Besonderes. Ich glaube, er ist nur eine andere Erscheinung des Zwergenkönigs, also auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit, weil er, der König, ja auch  nicht immer bei uns sein kann. Er hat schließlich noch andere Aufgaben, und da schickt er den kleinen Zauberer in der Gestalt der Puppe, um uns zufrieden zu stellen. Sie ist gewissermaßen sein Stellvertreter oder sein Botschafter, der uns seine Weisheiten überbringt.
Wenn Feanor doch auch so wäre. Aber er hat ja keinen Botschafter, er kommt entweder selbst oder gar nicht. Lirulin seufzte, ich wäre ja auch mit einem Stellvertreter zufrieden, ich meine, wenigstens zeitweise. Vielleicht ist ja Mateo sein Stellvertreter? Er hat auch so eine Art von Weisheit, ich mag ihn, er ist bestimmt auch etwas ganz Besonderes.
Ja sicher, ganz genau so ist es. Malina war sprachlos. Aber wir können das ja sehr leicht überprüfen. Mateo, rief sie laut, komm doch mal her, Lirulin möchte dich etwas fragen.
Bist du wahnsinnig? Wenn er uns so sieht, dann muss ich sterben.
Erinnerst du dich nicht mehr daran, dass Gott uns geschaffen hat? Was soll daran so schlimm sein? Denn wenn es schlimm wäre, hätte er uns sicher anders geschaffen. Das macht Gott doch nicht, dass er uns schlimm erschafft, so gemein ist er nicht. Ganz gewiss nicht, 100 Prozent.
Es geht gerade nicht um Gott, klagte Lirulin erbärmlich. Es geht darum, dass er mich nicht sehen darf, so wie ich hier stehe. Ich würde im Boden versinken.
Es klopfte heftig an die Tür. Was gibst? Kann ich rein kommen, es ist nur etwas blöd, ich habe gerade nichts an.
Bleib bloß, wo du bist, rief Lirulin, noch eine Spur verzweifelter. Es ist alles in Ordnung. Schlaf weiter oder mach irgend was Gescheites. Wenn du jetzt rein kommst, bist du tot. Und ich dazu.
Na dann, wir sehn uns gleich. Beim Frühstück. Aber zieht euch was an, es ist kalt draußen.
Du hast es gut, ich muss es schon noch einmal sagen dürfen. Der kleine Zauberer ist immer bei dir und ich weiß, dass die Gespräche mit ihm dir nicht langweilig waren. Oder nur ausgedacht. Du kannst mir auf jeden Fall nicht erzählen, dass du das alles nur erfunden hast, was zwischen euch geschehen ist. Was sollen wir aber heute tun, da die Schule immer noch ausfällt und wir auch niemand treffen sollen? Weißt du was, ich würde gern auf die Suche nach Feanor gehen, obwohl ich mir schon denken kann, dass wir ihn so nicht finden werden, sondern nur, wenn wir vollkommen absichtslos unterwegs sind. So wie du damals auf der Burg und wie ich beim Fest am Johannistag. Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, ihm zu begegnen!
Auch wenn es dich nicht trösten wird, im Herzen bist du ihm immer nah.
Warst du dem kleinen Zauberer nah, bevor du ihn wie absichtslos gefunden hast? Vielleicht ja wirklich, ohne dass du es wissen konntest. Vielleicht warst du schon immer auf der Suche nach ihm, ohne eine Ahnung davon gehabt zu haben. Und den Zeitpunkt hat er dann vielleicht selbst bestimmt. Mit Leanor geht es mir wahrscheinlich ähnlich. Ich habe ihn nicht gesucht, aber zum richtigen Zeitpunkt ganz einfach, wie vorbestimmt, gefunden. Und jetzt suche ich ihn, und es gelingt mir nicht.
Ganz so war es nicht, meinte Malina. Zu Anfang kam er wie von selbst. Aber nachdem ich ihn verloren hatte, musste ich mich wieder auf die Suche machen, ihn erneut zu finden. Und es ist mir gelungen. Also ist es doch wichtig, sich auf den Weg zu machen. Es ist einfach etwas anderes und ich glaube, er erwartet das von dir.
Du hast recht. Aber das hilft mir auch nicht weiter. Was soll ich also tun, deiner Meinung nach?
Ach Lirulin, was bedeutet schon meine Meinung bei dieser Sache? Das ist allein deine Entscheidung. Wenn du willst, komme ich mit, wenn nicht, gehst du allein. So einfach ist das.
Und Mateo? Du hättest nichts dagegen, wenn er mich bei der Suche unterstützt?
Ich weiß zwar nicht, wobei Mateo jemals eine Unterstützung hätte sein können. Entschuldige, dass ich das so sage. Aber nein, ich werde hier nicht Schicksalsgöttin spielen. Wenn du ihn brauchst, gehört er dir, mein kleiner Bruder, den ich viel zu lange an der kurzen Leine geführt habe.
Wen hast du an der kurzen Leine geführt? Mateo trat zu den beiden. Wollen wir vielleicht einen Ausflug machen, das Wetter scheint sich zu bessern, die Sonne scheint wie im Frühling und es sieht aus, als wäre dies heute der erste warme Tag.
Niemand führt hier jemand an der Leine, gab Lirulin rasch zurück. Malina erzählte nur gerade, wie schön ihr in den vergangenen Jahren miteinander gespielt habt, stimmt's?
Und wenn wir beide nun miteinander spielen würden, Lirulin? Ich kenne da einige verfallene Gänge im Burgkeller, die ich dir zeigen könnte.
So weit kommt's noch, du kennst meine Meinung, lieber Mateo. Lirulin will nicht mit dir spielen, dazu hat sie gar keine Zeit. Wir haben nämlich etwas vor.
Und ist das nicht gefährlich? Lirulin überlegte nur kurz. Interessieren würde es mich schon, vielleicht führt uns das ja auch zu Feanor, wer weiß, ob er nicht überhaupt im Burgverlies gefangen gehalten wird? Malina, ich habe eine Idee. Willst du uns vielleicht den kleinen Zauberer leihen, nur für ein paar Stunden. Ich kann mir vorstellen, dass er eine große Hilfe sein könnte bei der Suche nach Feanor. Schließlich kennen sich die beiden und er kann uns führen, wenn es dort sehr dunkel sein sollte.
Du und Mateo? Sehr dunkle Gänge? Und der kleine Zauberer als Führer? Lirulin, ich hätte nie gedacht, dass ich dir mal etwas ausschlagen müsste. Aber ich halte das für keine gute Idee.
Welche Idee? Das mit dem kleinen Zauberer? Das kann ich schon verstehen, dass du ihn nicht hergeben möchtest.
Nein, ich meine du und Mateo im Dunkeln. Kann sein, dass er da auf dunkle Gedanken kommt.
Welche Gedanken meinst du? Dass er nicht genügend Abstand hält? Ja, das stimmt, das ist heute ein großes Problem. Aber der kleine Zauberer wäre ja dabei und könnte auf uns aufpassen. Weißt du, vielleicht könnte ich selbst ja auch keinen ausreichenden Abstand einhalten? Ach, ich hab's. Du kommst einfach mit, wie konnte ich das nur vergessen. Meine beste Freundin hier zurück zu  lassen. Und wo doch Mateo dein lieber Bruder ist.
Und so musste Mateo sich damit zufrieden geben, doch nicht allein mit Lirulin die dunklen Gänge der Burg zu erforschen. Obwohl er das liebend gerne getan hätte.
Der Plan war also geschmiedet. Geschmiedet mit allerlei Raffinesse auf beiden Seiten, wobei am Ende sich keiner zum Sieger erklären konnte. Mateo musste mit Malina vorlieb nehmen, Malina mit Mateo und Lirulin auch wieder mit Malina. Obwohl sie das nie zugegeben hätte. Es war mehr eine leise Ahnung, dass es mit Mateo allein auch hätte aufregend und schön sein können. Aber so ändern sich die Zeiten. Man wird älter und die Vorlieben ändern sich mit.
Sie meldeten sich für den Tag bei Mama ab, weil sie nicht wussten, wie lange der Ausflug in die Tiefen der Burg dauern könnte. Den sie natürlich nicht preisgaben, da sie zu Recht ihren Einspruch befürchteten. Seid vorsichtig, macht keinen Unsinn und vor allem erkundet keine geheimen Gänge unter der Burg, dort sollen sich ja einige davon befinden, die aber überwiegend vom Einsturz bedroht oder schon verschüttet sind. Ich fände es nicht angenehm, wenn ich euch dort wüsste und eventuell für Hilfe sorgen müsste. - Keine Antwort ist auch gelogen, aber mit solchen Feinheiten hielten die Kinder sich heute nicht auf.
Kinder, ja, das waren sie einmal oder wie sagt man, wenn man gerade das goldene Zeitalter der Kindheit hinter sich gelassen hat? Noch nicht ganz, denn die größten Zweifel daran hatten die Beteiligten, wie so oft, ja selbst. Am meisten vielleicht Malina, die sich gern und etwas geziert noch als Kind bezeichnen konnte, wenn sie es, je nach Situation, für notwendig hielt. Selbst Mateo war, seiner eigenen Meinung nach, nicht länger ein Kind, seit Lirulin das Besondere in ihm entdeckt und lauthals bekannt gegeben hatte. Es ist, wie es ist, sagte sich Malina, auf Dauer werden selbst die größten Tröpfe erwachsen. Wobei, das dauert auf jeden Fall noch ein wenig.
Es kostete sie einige Mühe, die Äste, Stämme und Felsbrocken von einem der versteckten Eingänge fort zu schaffen. Dann blieb jedoch immer noch die aus Eichenbalken gefertigte Tür, die den Zugang für immer zu versperren versprach. Doch – ein Lob auf Mateo, Lirulins Augen glänzten vor geheimem Stolz – ein kräftiger Tritt des Knaben brachte das Hindernis zum Erliegen, genau so, da lagen die Hölzer, als wären sie morsch wie die Behausung von Holzwürmern. Der Weg ist frei, voilà, wer möchte als Erster?
Willst du, Malina, mit dem kleinen Zauberer als Beschützer? Mateo trat zu Seite.
Ich dachte, du bist heute der Beschützer? Vielleicht willst du Lirulin an der Hand in die Geheimnisse der Unterwelt einweihen.
Warum nicht, ergriff Lirulin ihre Chance und die Hand Mateos. Komm, wenn sie sich nicht traut, wir trauen uns immer. Und ohne Licht und ohne Besinnung setzte sie ihre Füße in das Dunkel, Mateo weniger als Hilfe, denn als Last hinter sich her ziehend. Malina folgte auf dem Fuß, denn die Verantwortung für ihren kleinen Bruder konnte sie trotz allem nicht leugnen.
Die Zeit der liebevollen Scherze und der geheimen Erwartungen war bald vorbei. Warum haben wir keine Lampe oder Fackel mitgenommen? Da sieht man, was fehlende Planung uns doch für Probleme bereitet. Malina fürchtete allerdings eins mehr als alles andere, nämlich dass Lirulin und Mateo rascher als sie in den finstren Gang eintauchen und sie zurück lassen könnten. Zweierlei wollte sie sich nicht ausmalen, das Alleinsein, das ihr selber drohte, und das Zuzweitsein, das sich die beiden vermutlich erhofften. Es gelang ihr, die freie Hand von Mateo zu erwischen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so gern an seiner Hand gehen würde. Und so sehen wir diese seltsame Gesellschaft, Lirulin, Mateo, Malina und den kleinen Zauberer durch das dichteste Dunkel stapfen, das ihr euch nur vorstellen könnt. Wir brechen uns beide Beine, wenn jetzt eine Stufe oder sogar eine Treppe kommt, warnte Malina. Geht langsam und setzt eure Füße vorsichtig, nicht dass sie plötzlich über einem Abgrund schweben. Das wäre uns allen zum Verderben. Wobei sie als Letzte in der Reihe auf einen gewissen Vorteil zu hoffen wagte – aber dennoch, wie fände ich zurück ins Freie und, vor allem, was wäre mit Lirulin und Mateo dort in der Tiefe? Besonders, wenn sie wenig lädiert oder gar unverletzt blieben? So wusste sie nicht, was sie sich lieber wünschen sollte, die beiden zerschunden, oder eben: unverletzt, allein, ohne ihre Hilfe. Na ja, Hilfe, ehrlich gesagt, vielleicht trifft es Aufsicht besser? Doch es geschah, zu ihrer Beruhigung, erst einmal nichts.
Ein alberner Plan, ließ sich der kleine Zauberer schläfrig vernehmen. Das führt zu gar nichts oder nur ins Unheil. Aber auf mich hört ja niemand mehr, seit der Zwergenkönig den Platz in deinem Herzen eingenommen hat.
Oh, da ist viel Platz, sogar für euch beide. Aber schön, von dir auch mal wieder etwas zu hören, gab Malina zurück. Ich dachte schon, du hättest deine Sprache verloren. Jetzt aber ist es wohl zu spät, die Richtung noch zu ändern.
Die Richtung nicht, aber die Absicht. Lirulin wollte sich doch wohl aufmachen, Feanor zu suchen. Jetzt aber gibt sie sich in die Hände Mateos, eine nicht ungefährliche Entscheidung. Mir soll es recht sein, aber weiß sie wirklich, was sie gerade tut?
Geht's dich was an, Lieber? Jeder folgt doch eh seinem eigenen Herzen.
Ja, das war oft Thema zwischen uns. Aber man sollte vielleicht nicht zu viel darüber reden, wenn man nichts Neues zu sagen hat. Hier auf jeden Fall findet sie Feanor sicher nicht. - Oder, hat sie ihn vielleicht schon gefunden? Denk mal drüber nach, dann kommst du wenigstens nicht auf dumme Gedanken.
Das Dunkel nahm kein Ende und das Dunkel in Malinas Vorstellungen genauso wenig. Was geht hier vor? Oh, schönes Wortspiel. So lange wir vorwärts gehen, besteht wenigstens noch Hoffnung. Und diese erfüllte sich wenigstens zum Teil, als sie nach einer Biegung des Ganges - die sich übrigens mit einem heftigen Fluch Lirulins ankündigte – in eine niedrige, in den Fels gehauene Kammer traten. Eine schwache, fahle Beleuchtung fiel von oben in den Raum, es musste also eine Verbindung zur Oberfläche geben, durch welche Luft und Licht das Leben hier ermöglichten. Eine weitere Tür befand sich am Ende des Gelasses, welche jedoch mehr Widerstand leistete, als die erste.
Und jetzt? Mateo hatte sich vergeblich an dem neuen Hindernis versucht und musste, zu Recht, von Lirulin getröstet werden.
Wir warten, sagte sie entschlossen. Wir warten, bis die Tür sich von selber öffnet und, wer auch immer, uns den Einlass gewährt. Nun ja, wir könnten immerhin auch versuchen, uns bemerkbar zu machen. Und sofort begann sie mit ihren überirdisch zarten Händen, das muss hier noch einmal gesagt werden, ihre Hände wie ihre ganze Gestalt waren von einer solchen Zartheit, dass mancher geneigt gewesen wäre, sie lieber nicht auf ihre Zerbrechlichkeit hin zu untersuchen. So natürlich nicht Mateo, aber das ist ja jetzt nicht das Thema. Oder doch insofern, dass er bald bemerkte, wie Lirulin mit ihrem Klopfen außerordentlich wenig ausrichtete. Nicht einmal auf dieser Seite der Tür war ein wesentliches Geräusch zu vernehmen. Anders nun also Mateo und Malina, sogar der kleine Zauberer machte sich bereit, sie bei ihren Klopfzeichen zu unterstützen.
Halt, rief Malina in der Erinnerung an die überirdischen Kräfte des kleinen Zauberers. Lasst ihn mal machen, ich könnte mir denken, dass er mehr Erfolg als wir alle zusammen haben sollte. Und so war es. Mit einer sanften Berührung von Zeige- und Mittelfinger brachte der kleine Zauberer die Tür zum Einsturz. Magie halt, sprach er mit leisem Stolz und blickte verstohlen auf Malina. Sie nahm ihn wieder in den Arm. Ja, Lieber, ich habe es nicht vergessen. Aber wir wollen diese Diskussion nicht jetzt führen. Ob großer Magier oder kleiner Zauberer, das ändert ja nichts zwischen uns. Und Lirulin und Mateo sind ohnehin so sehr mit anderem beschäftigt, dass man am besten immer die Augen auf sie haben wird.
Die Tür stand also offen und sie traten hindurch.